Zusammenspielen statt Zusammensitzen
„Die sitzen zusammen und diskutieren, wie es sein wird oder sein soll“. So oder so ähnlich hat ein sichtlich enttäuschter Julian Nagelsmann im Interview nach dem Länderspiel gegen Österreich den in seinen Augen perfekten Zusammenhalt seiner Mannschaft betont. Nun gut, das mag ein Anfang sein. Aber es heißt nun mal Fußball spielen, nicht Fußball diskutieren.
Dass Nagelsmann die Spiele gerne auf Papier oder Videoleinwand plant, ist bekannt. Aber das Spiel findet auf dem Feld statt, und nicht auf dem Papier. Und irgendwo zwischen Nagelsmanns Zetteln und dem grünen Rasen geht anscheinend das verloren, was die Nationalmannschaft dringend braucht.
Sie sind zu kopflastig. Wir hatten das schon beim FC Bayern. Nagelsmann tüftelt die innovativsten Spielzüge aus, trichtert sie seinen Spielern ein, bis sie sie im Schlaf (oder in motiviert klingenden Interviews vor einem Spiel) aufsagen können. Und dann – wird nichts davon wirklich umgesetzt. Und jeder fragt sich, wenn sie es doch wissen, wieso setzen sie es dann nicht um?
Dabei ist das gar nicht das Problem. Sie versuchen durchaus, alles umsetzen, was Nagelsmann ihnen vorgibt. Und werden dadurch zu verbohrt. Wenn A nach vorne geht, geht B nach rechts, zieht sich C zürück, spielt D oder E an, ziehen F und G die gegnerische Abwehr auseinander, dann kommen H und I über die Flügel und legen J den Ball auf, der dann ins Tor schießt. Nur mal ganz plakativ gesagt. Im 1. Spiel klappt es nicht? Dann wird es für das 2. Spiel weiter verfeinert. Dann kommen also noch K, L usw. usw. ins Spiel, die dann M… Ihr wisst, was ich meine. Das Chaos, das im Spiel gegen Österreich geherrscht hat, hätte auch entstehen können, wenn man ohne irgendwelche Anweisungen oder Trainingseinheiten 11 Spieler aufs Feld geschickt hätte, die noch kein einziges Mal vorher zusammen gespielt haben.
Wir kennen das Problem aus fast 2 Spielzeiten beim FC Bayern. Anstatt mal das System aufzulösen, wird es immer weiter ausgebaut. Kein Wunder, dass ein Leroy Sané da komplett austickt. Sollte ihm nicht passieren, ist aber meiner Meinung nach bei einem kreativen Spielertyp wie Sané, der gerne (gewollt oder auch mal ungewollt) unerwartete Spielzüge zeigt, die logische Folge. Unter Tuchel ist er aufgeblüht. Ich hoffe, er verfällt jetzt nicht wieder in die Lethargie der vergangenen Saison. Auch Joshua Kimmich, der immer allen alles recht machen möchte, wird dieses „alles“ anscheinend gerade etwas zu viel.
Wie geht es jetzt weiter mit der deutschen Nationalmannschaft? Da gibt es wohl einige Möglichkeiten:
1. Julian Nagelsmann macht weiter in seiner Art wie bisher. Was zu erwarten ist. Was dann passiert, damit rechnen sowieso schon fast alle.
2. Julian Nagelsmann ändert gemeinsam mit Sandro Wagner komplett seinen Kurs, setzt auf Spieler, die sich gut kennen und die vor allem auf dem Feld miteinander harmonieren. Zusammenspielen statt Zusammensitzen…
3. Kurz vor der EM wird Nagelsmann entlassen und das Trio des Frankreich-Spiels um Rudi Völler übernimmt für die EM und entfacht nochmal die gleiche Euphorie, die uns zumindest die Vorrunde überstehen lässt.
Es gibt sicher noch einige weitere Szenarien. Es wird also spannend bleiben bis zur EM. Und in der Zwischenzeit hoffen wir, dass sich die Spieler von der Länderspielpause nicht zu sehr runterziehen lassen. Denn es stehen schließlich für alle Vereine in den kommenden Wochen wichtige Spiele an.