Italia’90 – Die eine WM
Es gibt Ereignisse, da genügt ein einziges Wort, und schon sind die Erinnerungen wieder da. Die WM 1990 in Italien ist für viele, die sie miterleben durften, so ein Ereignis. Italia’90…
Es gibt sogar Filme und Bücher über Italia´90. Bücher, die davon handeln, wie beeindruckend diese WM war – und wie zwei verschossene Elfmeter ein ganzes Land, in diesem Fall Italien, in die Verzweiflung gestürzt haben. Dass Diego Maradona den letzten Elfmeter für Argentinien schoss und Italien ausgerechnet in Neapel, wo er zu der Zeit spielte, aus dem Turnier kickte, war an Dramatik kaum zu überbieten. Italia´90…
Auch die WM in Katar hat es geschafft, dass viel über sie gesprochen wurde. Jedoch nicht unbedingt im positiven Sinne. Was wird man über die EM 2024 in Deutschland einmal sagen? Aktuell sieht es nicht so aus, als würde es da viel geben. Aber wir werden sehen. Es ist immerhin eine Heim-WM.
Doch an die Italia´90 wird wohl so schnell kein Turnier mehr herankommen. „E negli occhi tuoi la voglia di vincere“ Und in deinen Augen der Wille zu siegen… hieß es im WM-Lied „Un‘ estate italiana“ von Edoardo Bennato und Gianna Nannini. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Spieler heute keine Lust auf einen EM- oder WM-Titel haben. Aber ich sehe ihn nicht in ihren Augen, diesen Siegeswillen. Von welchem der heutigen Spieler wird man in Europa, in der Welt, in 30 Jahren noch sprechen?
Vor 33 Jahren, als der Fußball noch Fußball war, noch ursprünglicher, als es noch nicht ausschließlich um die Millionen ging, da hat ein Klinsmann noch für einen vom Platz gestellten Rudi Völler bis zum Umfallen gekämpft. Und als Andy Brehme zum Elfmeterpunkt ging, hat eine ganze Nation den Atem angehalten. Ohne Wenn und Aber. Heute ist das nicht mehr so. Da wird gelästert, wird nach Fehlern gesucht, werden negative Hashtags kreiert. Da kann auch ein Spieler 30 gute Aktionen haben, über einen einzigen kleinen Fehler wird trotzdem wochenlang diskutiert werden. Einer fängt an, 1000 andere lassen sich mitreißen. Ob sie Ahnung haben oder nicht.
Selbst die WM-Lieder sind kommerzieller geworden. „Un´estate italiana“ gäbe es heute nicht mehr. Die Lieder heute werden millionenmal angeklickt und geliked…und nach einem Monat vergessen. Fragt mich nach den letzten 10 WM-Songs. Ich könnte vielleicht 2 nennen. „Un’estate italiana“ hingegen verursacht bei mir immer noch das Gänsehautgefühl von damals. Weil es inhaltlich den Kern einer WM widerspiegelt. Und weil die WM damals noch eine WM war.
Es gab nicht überall die großen Leinwände, in Italien haben wir uns mit ein paar Freunden in einem Lokal vor einem kleinen Fernseher zusammen gesetzt. Allzu viele Möglichkeiten gab es nicht. Und doch war das Gemeinschaftsgefühl, im Kleinen und im ganzen Land, viel mehr da, als heute selbst bei einem Public Viewing mit 1000en von Fans.
In seinem Blog Catenaccio 07 schreibt der Verfasser im Artikel „Diegos Tränen, Triumph und Gianna Nannini“ von „billiger Fanschminke“ und „allerlei lächerlichem Gedöns vom Discounter“, das heutzutage bei großen Turnieren auf den Straßen anzutreffen sei. 1990 hatten meine Freundinnen und ich in Italien noch nicht mal eine Deutschland-Fahne. Deshalb haben wir versucht, selbst eine zu basteln, mit Kleidungsstücken, die irgendwie schwarz und rot und gold (oder eher gelb) waren. Und die wir über das Balkongeländer gehängt haben. Aber jeder, der an unserem Balkon vorbei ging, hatte ein Daumen hoch für uns. Kein Like, sondern den echten Daumen. Und ein paar freundliche Worte gab´s auch immer dazu. Von italienischen, deutschen oder schottischen Fans. Ganz egal. Dieses unvergessliche Miteinander habe ich schon mal in meinem Artikel „Mexico mi amor“ beschrieben.
1990 gab es kein Internet an jeder Ecke, keine 24-Stunden Liveberichte über jeden Schritt der Spieler. Und doch war man richtig dabei, eigentlich mehr als heute. Damals war etwas wie das „Mia san Mia“ da, aber globaler. Italia´90 ist die eine WM. Die, die man nie vergisst. Die 90er Jahre haben vielleicht viel weniger Erinnerungen geschaffen, die man immer und überall im Internet ansehen kann. Dafür aber bleibende…