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Warum Tuchels Ratlosigkeit fatal sein könnte

So ratlos hat man Trainer Thomas Tuchel wohl noch nie erlebt. Und er selbst sich vermutlich auch nicht. Seine Mannschaft war auf einem guten Weg, auf einem sehr guten. Die letzten beiden Testspiele haben ein lauffreudiges, kämpferisches und ideenreiches Team gezeigt. Ja, es hatte tatsächlich den Anschein, dass die Mannschaft sich nun endlich gefunden hat.

Und dann kam, was seit 1, 2 Jahren ständig kommt. Ein komplett unerwarter Bruch im Aufwärtstrend. Ein Rückfall in alte Muster? Ganz so schlimm ist es denke ich nicht. Denn bei früheren Rückfällen dieser Art war die Mannschaft komplett ratlos auf dem Feld. Jetzt hat sie zumindest in Ansätzen versucht, das Spiel in den Griff zu bekommen. Gebracht hat es zwar nichts, aber es könnte der Ansatzpunkt sein, nach dem Thomas Tuchel gefragt wurde, und den er nicht findet.

Von der Fitness her gesehen, ist die Mannschaft top. Sportlich kann man nicht mehr viel verbessern. Das Grundproblem liegt meiner Meinung nach eher im mentalen Bereich. Fehlendes Vertrauen, Unsicherheit, der fehlende Zusammenhalt. Immer wieder sickert durch, dass z.B. Benjamin Pavard das Team verlassen möchte. Immer wieder steht Joshua Kimmich im (negativen) Fokus, ein weiterer 6er wird offenbar gesucht und gefordert. Immer wieder wird Leon Goretzkas Zukunft beim FC Bayern mit einem Fragezeichen versehen. Goretzka, der lange Zeit ebenso wie Kimmich als absoluter Fels in der Fußball-Brandung galt. Immer wieder wird bezweifelt, ob ein für den Zusammenhalt der Mannschaft so wichtiger Spieler wie Manuel Neuer überhaupt nochmal zurück kommt. Man könnte noch einige weitere derartige Unsicherheitsfaktoren aufzählen. Und so wird aus einem Ganzen ein löcheriges Gebilde, das immer wieder in sich zusammen fällt. Bei dem keiner mehr weiß, wer nun wirklich komplett im oder zu seinem Verein steht. 

Ich denke, da müssen Tuchel & Co. ansetzen. Einen Pavard zu halten, wenn er im Kopf eigentlich woanders ist, auf einen Neuer zu hoffen, der vielleicht irgendwann oder auch nicht mehr zurückkommt, einen Kimmich, der absolut gesetzt war, selbst in der Nationalmannschaft Kapitän wurde und sich dann plötzlich (gerechtfertigt oder nicht) auf der Bank wiederfindet – das mag einige Zeit gut gehen. Aber es verunsichert und trägt nicht zu einer absoluten Vertrauensbasis bei. 

Auch ein Gnabry, der sich immer mal wieder als 9er vorfand, eine Position, die absolut nicht seine ist. Und damit kommen wir zu einem weiteren Problem, das jetzt eigentlich gelöst sein sollte: Harry Kane. Auf die Frage eines Reporters, wie man ihn nun aufbauen würde, reagierte Tuchel ungewohnt gereizt. Und doch sehe ich hier noch Handlungsbedarf. Kane muss ins Team integriert werden. In den – zugegebenermaßen wenigen –  Minuten, die er bereits für den FC Bayern auf dem Platz stand, war davon allerdings erwartungsgemäß noch nichts zu merken. Ein bisschen hatte ich hier ein Déjà-vu. Ganz kurz hat es aufgeblitzt. Kane stand ähnlich verloren auf dem Feld wie einst Lewandowski, der seinen Platz im System von Nagelsmann nicht mehr gefunden hat. Ob Gnabry oder Sané die richtigen sind, Kane so in Szene zu setzen, wie es sein sollte? Spielerisch ja, von der Persönlichkeit her nein. 

Eher sehe ich eine Kombination Müller/Kane. Müller hat die Mischung Zuspiel-Selber schießen drauf. Aber um dazu etwas sagen zu können, ist es noch zu früh. Nur könnte die Integration genau aus dem Grund auch schief gehen, aus dem der FC Bayern gerade seine immer wiederkehrenden Rückfälle erleidet. Ungenaue Pässe, kein gutes Zuspiel und Zusammenspiel brechen auch einem Topstürmer wie Kane das Genick. Und die enstehen auch daraus, wenn das „blinde Vertrauen“ im Team nicht vorhanden ist. 

Leider muss ich dazu auch sagen, dass Tuchels offen zur Schau gestellte Ratlosigkeit ihn zwar sympathisch macht, aber das Team eher noch mehr verunsichern könnte. Schließlich sollte der Trainer derjenige sein, der in jeder Situation den Überblick hat und das Team führt.

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